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Hinweis:
Die Interviews (s. Anhang) sind Eigentum der Autorin,
aber auch von Frau A.E. Moser.
Sie können erst nach Vorliegen beider Einwilligungen
weitergegeben werden.
Maga.
Birgit Ellmauthaler
Die
Bewältigung psychischer Erkrankungen und Krisen
in
Annemarie E. Mosers Romanen
"Türme",
"Vergitterte Zuflucht" und
"Das
eingeholte Leben"
Originalarbeit
Wien,
1995.
Als
Diplomarbeit an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien
approbiert im März 1996,
aktualisiert
im April 1997.
Inhalt
Danksagung .......................................................................................................... 004
Einleitung ............................................................................................................. 005
1.
Wahnsinn in der Literatur
Ein kurzer historischer Überblick mit
besonderer Berücksichtigung
des deutschen Sprachraumes ............................................................................. 007
1.1. Die antike Tragödie .......................................................................................... 007
1.2. Das christliche Abendland,
Mittelalter, Humanismus ........................................... 009
1.3. Aufklärung bis Sturm und
Drang ....................................................................... 011
1.4. Die Romantik ................................................................................................... 014
1.5. Der Naturalismus ............................................................................................. 016
1.6. Fin de siecle
und Expressionismus ..................................................................... 017
1.7. Von der
Antipsychiatriebewegung zur Gegenwart ............................................. 019
2.
Versuch einer Biographie
2.1. Kindheit .......................................................................................................... 024
2.2. Jugendkrisen und die
Begegnung mit Literatur ................................................. 026
2.3. Bildung als Flucht ............................................................................................ 028
2.4. Die Krankheit, die mein
Leben bestimmt hat ...................................................... 030
2.5. Hindernisse und Wagnisse
beim Neubeginn ...................................................... 030
2.6. Ein Lebenstraum wird wahr .............................................................................. 033
2.7. Fußfassen im Alltag ......................................................................................... 037
2.8. Das Ende des dunklen
Tunnels ......................................................................... 040
2.9. Annemarie E. Moser heute -
eine kurze Skizze .................................................... 041
3.
Zur Gattung der Romane
3.1. TÜRME ............................................................................................................ 044
3.2. VERGITTERTE ZUFLUCHT ................................................................................... 046
3.3. DAS EINGEHOLTE LEBEN .................................................................................. 047
4.
Textinterne Analyse
4.1. Gemeinsamkeiten der
Protagonistinnen ............................................................ 050
4.1.1. problematisches
Elternhaus und Milieu ........................................................... 050
4.1.2. Verlust eines
Elternteiles ................................................................................ 052
4.1.3. Schuldzuweisungen ..................................................................................... 054
4.1.4. Fehlender oder
inadäquater Freundeskreis ..................................................... 056
4.1.5. Psychodynamische
Phänomene ..................................................................... 059
4.1.5.1. Verdrängung ............................................................................................. 060
4.1.5.2. Größenphantasien und
Selbsttäuschungen .................................................. 061
4.1.5.3. Wiederholungszwänge
und Autoaggression ................................................ 065
4.1.5.4. Pathologische
Introspektion ......................................................................... 067
4.1.5.5. Halluzinationen und
Träume ....................................................................... 068
4.2. Erweiterungen und
Entwicklungsfähigkeit der Protagonistinnen ......................... 072
4.2.1. Die Protagonistin in
TÜRME ............................................................................ 072
4.2.1.1. Selbstakzeptanz und
Empathie .................................................................... 072
4.2.1.2. Bewußte
Schau und Modifikation des Selbstbildes ......................................... 074
4.2.1.3. Adressieren von
Aggression ......................................................................... 075
4.2.1.4. Entwicklung zur
Autorin ............................................................................. 076
4.2.2. Ines in VERGITTERTE ZUFLUCHT
...................................................................... 078
4.2.2.1. Erfahrung im Leiden
und Reflexionsfähigkeit ................................................ 078
4.2.2.2. Auflösung von
Vorurteilen auf den Ebenen der
Protagonistin und der Außenwelt ................................................................ 079
4.2.2.3. Korrektur des
Mutterbildes ........................................................................... 080
4.2.2.4. Von der kognitiven Verfaßtheit zur Gefühlsebene ......................................... 081
4.2.3. Maria in DAS EINGEHOLTE
LEBEN .................................................................. 082
4.2.3.1. Ihr Gewinn:
Lebensvertrauen ...................................................................... 082
4.2.3.2. Zulassen von
Aggression ............................................................................. 083
4.2.3.3. Trennungsfähigkeit .................................................................................... 084
4.2.3.4. Reintegration der
Persönlichkeit ................................................................... 085
4.2.4. Antagonistinnen als
quasi reale Einschätzungsmöglichkeit
der jeweils eigenen Situation der
Protagonistinnen .......................................... 086
4.3. Entwicklungsfähigkeit der Moser'schen Frauenfigur ........................................... 088
4.3.1. Abnahme des
Schweregrades der psychischen Krankheit ................................. 088
4.3.2. Selbständigkeit ............................................................................................. 091
4.3.3. Erotische Entfaltungs-
und Beziehungsfähigkeit ............................................... 093
4.4. Zum unveröffentlichten Schluß von DAS EINGEHOLTE LEBEN .............................. 097
5.
Formale Analyse
5.1. Erzählweise ..................................................................................................... 099
5.2. Erzählperspektive ............................................................................................. 101
5.3. Figuren .......................................................................................................... 103
5.4. Zeit ................................................................................................................ 107
5.5. Raum ............................................................................................................. 110
5.6. Sprache und Stil .............................................................................................. 114
6. Annemarie E. Mosers Werke
Vorschlag einer Standortbestimmung
innerhalb der gegenwärtigen
österreichischen Literatur ....................................... 118
7.
Schlußbemerkung ......................................................................................... 121
8.
Bibliographie ................................................................................................. 122
8.1. Primärliteratur (incl.
Beiträge in Anthologien) ..................................................... 122
8.2. Texte anderer AutorInnen ................................................................................. 122
8.3. Quellen und Darstellungen .............................................................................. 123
9.
Anhang
Wenn Sie diesen Anhang lesen möchten, senden Sie uns
oder Frau Annemarie E. Moser
bitte eine Anfrage, da Frau Moser aufgrund ihrer Mit-Urheberschaft an
diesem
Anteil der Arbeit (Interviews mit unveröffentlichtem Text) dies wünscht. Wir
können nach
Rücksprache in einer Antwort-Mail den betreffenden Link gerne freigeben.
Sollten Sie wissenschaftliches Interesse haben, liegt dieselbe Arbeit in
folgenden
Bibliotheken
ebenfalls zur Einsichtnahme auf, wobei Sie sich den geltenden gesetzlichen
Regelungen wie
üblich unterwerfen:
Österreichische Nationalbibliothek, Wien
Universitätsbibliothek Wien
Institutsbibliothek, Germanistik, Universität Wien.
1. Gespräche mit Annemarie E.
Moser (1994-1995) .................................................. A 01
2. Auszüge aus Briefen von Frau
Juliane Windhager (1972-1981) .............................. A 32
3. Manuskript in Photokopie des
unveröffentlichten Schlusses
von DAS EINGEHOLTE LEBEN ........................................................................... A 33
4.
Bibliographie von Annemarie
E. Moser ................................................................ A 34
Danksagung
An
dieser Stelle möchte ich allen herzlich danken, die mir geduldige
Gesprächspartner gewesen sind und denen ich manch wertvolle Anregung verdanke:
meinen Eltern, meinem Verlobten und meiner Freundin.
Danken
darf ich auch Frau Mag. Uta Sigl für die Erlaubnis, die Briefe ihrer Mutter,
Frau Juliane Windhager, zu zitieren.
Herrn
Dr. Richard Picker danke ich nochmals dafür, daß ich vom Jänner 1993 bis zum Juni 1995 an einer
Selbsterfahrungsgruppe (Gestalttherapie) teilnehmen durfte. Wie ich glaube, ist
in jenen Jahren die Voraussetzung für manches begründet worden, was zu den
vorliegenden Überlegungen geführt hat. Seinen Auskünften und den Vorträgen,
Vorlesungen und Hinweisen anderer Wissenschafter
danke ich großteils meine Kenntnisse auf dem
Grenzgebiet zu Psychotherapie,
Medizin und Medizinischer
Psychologie. In alphabetischer Reihung
erinnere ich Univ.Prof.Dr. Jutta Menschik-Bendele,
Mag.Dr.Volkmar Ellmauthaler, Univ.Prof.Dr.Erwin
Ringel (†1994),
Univ.Prof. Dr. Gottfried Roth, Univ.Doz.
Dr. Raoul Schindler, Univ.Prof. Dr. Paul Watzlawick.
Auch die Möglichkeit, im Rahmen des Wiener Institutes für gewaltfreie
Persönlichkeitsbildung bei methodenintegrativen Therapie- und
Trainingsseminaren als Praktikantin mitzuarbeiten, hat meinen theoretischen wie
praktischen Erfahrungshorizont wesentlich erweitert.
Ganz
besonders möchte ich Frau
Annemarie E. Moser danken, die mir in überaus herzlichem Entgegenkommen nicht
nur eine Serie von fünf wert-vollen Interviews ermöglichte (siehe Anhang),
sondern mir auch mit viel Geduld und Vertrauen Einblick in persönliche Briefe
und Manuskripte gewährte.
Zuletzt,
aber aus besonderem Bedürfnis, möchte ich der Betreuerin dieser Arbeit danken,
Frau Univ.Prof. Mag. Dr. Ingrid Cella. Ihr Rat und ihre Zuwendung haben mich
tief bewegt und mich jenseits wertvoller Anregung und Beurteilung in
Behutsamkeit, Achtung und Wertschätzung gegenüber Werk und Autorin für meine
Zukunft nachdrücklich bestärkt.
Einleitung
Wer
die Aussage vieler Schreibender kennt, sie könnten hauptsächlich in gespannten
Stimmungslagen, also unter Druck, produktiv sein, und wer, selbst schreibend,
auf diese Weise die Lösung eines Spannungszustandes an sich erfährt, kann
leicht zu der Auffassung kommen, Schreiben sei Therapie; eine Haltung, die
jedenfalls genau zu befragen ist, besonders, da sie in der Rezeption auch
gegenüber Annemarie E. Moser gerne eingenommen wird.
In
der Auseinandersetzung mit Mosers Werken scheint man manchmal sogar den
wissenschaftlichen Diskurs zu verlassen und, statt dessen, von der Romanfiktion
auf den Grad der real gelungenen oder mißlungen geglaub-ten Heilung der Autorin schließen zu wollen. Sowohl
Carine Kleiber[1]
als auch Matthias Marschik[2]
beendeten ihre Untersuchungen sinngemäß in der irrigen Haltung: "Was sie
schreibt, beweist: Sie hat es persönlich doch nicht ganz geschafft."
Besonders
deshalb soll mit größtmöglicher Genauigkeit auch das Biographische in Betracht
gezogen werden, welches sich aus Interviews und ihrem Briefwechsel ergibt. Die
Interviews werden mit dieser Arbeit veröffent-licht;
ich weise daher auf die Bestimmungen des Copyright hin: Eine wie immer
geartete, auch auszugsweise, Reproduktion des Anhanges bedarf nicht nur der
vorherigen schriftlichen Einwilligung der Verfasserin, sondern auch einer
entsprechenden Genehmigung von Frau Moser.
Weil
es sich bei den in die vorliegende Arbeit aufgenommenen Zitaten aus Briefen um
unveröffentlichte und private Schriftstücke handelt, habe ich mich, in
Übereinkunft mit Frau Moser, im wesentlichen für eine
anonyme Zitation mit Datumsangabe entschieden, um die Diskretion gegenüber
diesen Personen zu gewährleisten.
Den
Blick von der Person der Autorin dann wieder abzuwenden in dem Bewußtsein, daß ihr auch als
einer psychisch zeitweilig kranken Frau zuge-standen
werden kann, Werke mit hohem literarischem Anspruch zu schaffen, und das meiner
Meinung nach obligatorische, bei Annemarie E. Moser gewiß
herausfordernde, Bemühen, den Hinweisen einer Trennung zwischen Figur und
biografischer Persönlichkeit nachzuspüren, ist ein Zweck meiner Arbeit - um
nämlich den literarischen Diskurs kritisch und evaluierbar
führen zu können.
Nach
einem kurzen Überblick über die Darstellung des Wahnsinns beson-ders
in der deutschsprachigen Literatur wird es zunächst darum gehen, das Leben der
Autorin luzid und greifbar zu machen, um die Voraussetzungen für eine
Abgrenzung zu ihrer Person und die Analyse ihrer Werke zu schaffen.
Die
textinterne Analyse wird sich auf Heilung und Bewältigung konzentrieren. Es
wird darum gehen, auf welchen Wegen die Prota-gonistinnen
psychisch wieder gesund oder wenigstens stabil werden. Dabei werde ich, vom
Ist-Zustand ausgehend, die Faktoren beleuchten, welche die Entwicklung zur
Krankheit mit beeinflußt haben, um anschließend auf
die jeweils individuelle Entwicklung
einzugehen, auf Erweiterungen im Sinne von Lebens- und
Problemlösungsstrategien.
Die
Entwicklung der Moser'schen Frauenfigur auf der
zweiten Ebene, von Roman zu Roman, bildet den zweiten Teil der Analyse, wobei
ich hier, um die tatsächliche Klimax der Entwicklung deutlich veranschaulichen
zu können, zusätzlich das Manuskript des unveröffentlichten Schlusses von DAS
EINGEHOLTE LEBEN herangezogen habe. Es handelt sich um ein Manuskript, das die
Autorin veröffentlichen wollte. Daß der Schluß in der veröffentlichten Fassung des Romans fehlt,
entspricht nicht der Intention der Autorin, deshalb habe ich mir erlaubt, jenes
Material mit zu berücksichtigen, welches ursprünglich für die Öffentlichkeit
vorgesehen war.
Zuletzt
soll auch die formale Analyse in sechs Abschnitten dokumentieren und meine
Auffassung abrunden, daß die Werke von Annemarie E.
Moser über den Rahmen einer Poesietherapie hinausgehen.
1. Wahnsinn in der Literatur
Ein
kurzer historischer Überblick mit besonderer Berücksichtigung des deutschen Sprachraumes
Die
literarische Auseinandersetzung mit psychischen Erkrankungen und
Geisteskrankheiten manifestierte sich sehr früh, weil sich die Sprache
als Instrument
für Spiegelung, Bewußtwerdung und Reflexion der je eigenen Befindlichkeit
hervorragend eignet. Ebenso ermöglicht eine schriftliche Fixierung viele Formen
der Probehandlung wie auch der nachträglichen Aufarbeitung.
Im
folgenden Kapitel möchte ich eine Gruppe von Werken herausgreifen, die sich
gezielt mit psychischem Leiden und Krankheit auseinandersetzen. Wichtig ist für
mich in diesem Zusammenhang vor allem, daß die Krankheit
als solche erkannt und definiert wird, sei es durch einen Protagonisten, den
Autor oder durch das Kollektiv einer Epoche. Werke, in denen diese Instanzen
fehlen, habe ich ausgeklammert, ebenso die ästhetisierte Form der Problematik
Genie-und-Wahnsinn. Auch ging es mir nicht darum, alle Autoren aller
angeführten Epochen, die sich in ihren Werken dem Wahnsinn widmeten, zu
erfassen, sondern das Phänomen anhand ausgewählter Beispiele im jeweils
zeitgenössischen Kontext zu betrachten.
1.1. Die antike Tragödie
Die
Darstellung des Wahnsinns läßt sich bis in die antike
Mythologie zurückverfolgen. Dort begegnet er uns in mehreren Formen.
In
Aischylos´ Tragödie DIE ORESTIE flieht der von den Erinyen
verfolgte Orest nach dem Mord an seiner Mutter aus seiner Heimat und findet
nirgendwo Ruhe[3].
In der antiken Auffassung erscheinen die Erinyen als Fluchgeister, die den mit Schuld belasteten Menschen durch
Wahnsinn quasi foltern. Diese Last aufzuerlegen, bleibt so einzig der
göttlichen Instanz vorbehalten, ebenso die Befreiung davon, die oft nur dann
eintritt, wenn die religiösen Abhängigkeiten zwischen Göttern und Menschen
verändert werden.[4]
Schuld wird also nicht als ein psychologisches, sondern als ein religiöses
Phänomen bewertet.
In
dem Drama von Sophokles, DIE TRACHINIERINNEN, ist der Wahnsinn des Herakles die
Impasse kurz vor seiner Apotheose.[5]
Er, der immer als Sieger gegen die Bedrohungen der Menschen hervorging, hat den
Kampf mit der Götterwelt aufgenommen. Da er selbst in dieser Phase noch zu den Sterblichen
gehört, wüten in ihm unvereinbare Gegensätze, die den Wahnsinn bewirken.[6]
Die Protagonisten der Tragödien Sophokles´ sind grundsätzlich an zwei Maxime
gebunden: Gnoqi se auton!
(Erkenne dich selbst!) und Meden agan!
(nichts zuviel!). Verstoßen sie dagegen, liegt die
Konsequenz in einer durch Wahnsinn verursachten Zäsur in ihrem Dasein, die sie
in ihre naturgemäßen Schranken verweisen soll.
Für
das antike Verständnis stellt Wahnsinn auch den Gegensatz zur stufenweisen
Erkenntnis und zur Weisheit dar. Über die Sofia
(Sophía) kann end-lich - das bedeutet nach Plato: im Tode - die Schau des
Göttlichen er-reicht werden, die dem Wahnsinnigen jedoch verborgen bleibt. So
fehlt der Darstellung des Wahnsinns vorerst auch die Deutung als eine
Krankheit.[7]
In
der Sophokleischen Tragödie Oidipus
turannos (Ödipus, der Tyrann) konnte Hubertus
Tellenbach Spuren nachweisen, die bereits in die Richtung des modernen
Verständnisses von Wahnvorstellungen gehen. Die Entwick-lung
derselben wird in diesem Werk erstmals von der göttlichen Ebene in den Menschen
verlagert. Als der Seher Teiresias dem Ödipus
offenbart, er wäre die Ursache für die Misere in seinem Reich, entwirft Ödipus
die Phantasie, der Seher wäre gewinnsüchtig und wolle gemeinsam mit Kreon ihn,
Ödipus, seiner Herrschaft berauben.[8]
Aus seinem Zorn entwickelt er einen Wahn.[9]
Tellenbach kann insofern zugestimmt werden, als die subjektive Realität des
Ödipus nicht in einem gültigen Prozeß der
Realitätsprüfung, sondern abgespalten, neben dem objektiv Erkennbaren
entstanden zu sein scheint. Zudem hat sie sich aufgrund von Ereignissen
ergeben, die außerhalb seines Wissenshorizontes liegen. So begleitet der Schock
der Erkenntnis über die, von der objektivierbaren abweichende, eigene Realität
nach dem Mord an seinem Vater und der Heirat mit seiner Mutter seine eigene
Realitätsfindung, führt also zur Klimax und darin zur Unhaltbarkeit seiner im
Subjektiven fixierten, wahnhaften Idee mit der Konsequenz der Selbstblendung[10]
mit ihrerseits symbolhaftem Charakter.
1.2. Das christliche Abendland,
Mittelalter, Humanismus
Aurelius
Augustinus (354-430) steht in der abendländischen Kultur am Beginn einer
Tradition, worin das an der eigenen Person erfahrene psy-chische
Leid in Form eines Berichtes darstellt wird. Seine CONFESSIONES sind auf das im
Korintherbrief des Paulus beschriebene Ziel gerichtet, vor dem Angesicht Gottes
sich so zu erkennen, wie man selbst erkannt ist (1 Kor. 13, 12)[11]. Bei Paulus entsteht so eine Vorform des
Begriffes der Spiegelung, der sich später in der psychotherapeutischen
Situation, und zwar beim Bewußtwerden des Eigenen mit
Hilfe des Gegenüber, wiederfindet.
In
Augustinus´ Bericht, der auch die Geschichte einer Bekehrung enthält (Taufe:
387, Bischof von Hippo: 395), muß
sich das Gericht Gottes als Prozeß der Erkenntnis der
eigenen Sündhaftigkeit schon zu Lebzeiten vollziehen, da nur so spirituelles
Wachstum möglich ist. Daher zeichnet sich das Werk durch eine starke
"Dialektik von Intimität und Öffentlichkeit"[12]
aus, die zwei biblisch fundamentale Forderungen erfüllen kann: das
Sündenbekenntnis und die verkündende Darstellung eines christlichen Zeugnisses
für Glaubensgenossen wie auch Andersgläubige. Das Bemühen um ein unverfälschtes
Wissen von sich selbst ist Augustinus´ Suche nach Gott, da nur dieser ihm zu
dieser letzten Erkenntnis verhelfen kann.[13]
Insofern folgt auch Augustinus der Tradition der griechischen Philosophen.
Innerhalb
des Aufgehobenseins in der christlichen Tradition
sind die CONFESSIONES auch als die
deutliche Darstellung und Aufarbeitung eines Vater-, Mutter- und
Autoritätskonfliktes zu verstehen.[14]
Das Werk ist insofern innovativ, als es die - auch nach ihm, bis zum späten
Mittelalter - verbreitete Eingebundenheit des Menschen in ein solches Kollektiv
durchbricht, das "ihn nicht in jene Möglichkeit der Vereinzelung zu
entlassen scheint, die [...] zu den unbedingten Voraussetzungen einer eindeutig
faßbaren Wahnent-wicklung
steht"[15].
Augustinus ergreift mit dem Bekennen des in ihm wurzelnden Destruktiven,
nämlich der bewußten Lust am Fehlverhalten[16],
die Verantwortung über sich als Einzelwesen, löst sich aus dem Kosmos der
Abhängigkeiten und ist für seine individuelle Grenzerfahrung offen.
Ähnlich
wie Augustinus zeigt auch der britische Dichter Thomas Hoccleve in seinem
Schaffen[17]
nicht nur einen in Sünde begründeten Wahnsinn, sondern auch das Portrait eines
Kampfes um Selbstannahme angesichts der Frage nach der Definition des Selbst
durch die Außenwelt.[18]
Im
Mittelalter ist die Lehre einer direkten oder indirekten Einflußnahme
des "Teufels" auf einzelne Menschen noch sehr verbreitet. Ein solcher
Einfluß dämonischer Mächte äußert sich in
Besessenheit. Ein indirekter Einfluß be-steht aufgrund der Verführbarkeit des Menschen zur
Sünde. Beide können, so sich eine unauflösbare Konfliktsituation ergibt, zum
Wahnsinn führen.
Dazu
ist zu bemerken, daß die Konzeption von Wahnsinn als
einer Krankheit bereits im Mittelalter erkannt wird. Allerdings ist seine
Deutung als "Geißel einer höheren Macht" ein Spezifikum dieser
Epoche. Der vom "Teufel" verursachte Wahnsinn endet in Tod und
Verdammnis, während der göttliche Wahnsinn zur Selbsterkenntnis, Buße und
Läuterung führt. (Hier findet sich die aus der griechischen Philosophie
übernommene Vorstellung einer Katharsis).
Die
sozial relevanten Symptome beider Formen des Wahnsinns stellen sich in der
Literatur meistes als Vereinsamung und Verwahrlosung dar. Häufig werden die
Protagonisten mit Tieren identifiziert.[19]
Während
des 16. Jahrhunderts ist die Auffassung von dem durch Besessenheit verursachten
Wahnsinn zwar noch immer verbreitet, allerdings nehmen sich englische Wissenschafter wie Andrew Boorde
oder Philip Barrough bereits der Erforschung und
Klassifikation von psychischen Erkrankungen an. In ihren Untersuchungen bemühen
sie sich, erstmals bestimmte Formen psychischen Leidens nach spezifischen
Symptomen zu klassifizieren und eine präsumptive
Amoralität als auslösenden Faktor zumindest theoretisch auszuschließen.[20]
Mit
William Shakespeare taucht zum ersten Mal die Darstellung der Entwicklung in
den Wahn auf, die aber nicht - wie bei Ödipus - in einer Überlastung durch ein
Spannungsfeld zwischen subjektiver und objektiver Realität liegt, sondern in
der latenten Veranlagung des Protagonisten, die eines Anlasses bedarf, wonach
sich Wahnsinn manifestiert:[21]
Es handelt sich um KÖNIG LEAR. Der auf den Liebesbeweis seiner jüngsten und von
ihm meistgeliebten Tochter Cordelia wartende König wird dadurch, daß sich die objektive Realität seiner eigenen idee fixe von der ihm vorschwebenden Art der
Liebesbezeugung widersetzt, in seinem psychischen Gleichgewicht schwer
irritiert und gleitet allmählich in den Wahnsinn.[22]
Shakespeare
spiegelt in seinen Werken gängige Auffassungen wider, und ebenfalls den
Skeptizismus der damaligen Wissenschaft. In MACBETH beispielsweise, beschreibt
er nicht nur eine psychisch kranke Protagonistin, die ihren Gatten zum
Königsmord anstiftet und, nach ihrem Zusammen-bruch, in Halluzinationen
verfällt - er erkennt und läßt es den schottischen
Arzt aussprechen: Der maßgebliche Schlüssel liegt im Kranken selbst: in einem
inneren Impuls zu seiner eigenen Heilung.
Macb. ...
How does your patient,
doctor?
Doct. Not
so sick, my lord,
As she is troubled with
thick-coming fancies,
That keep
her from her rest.
Macb. Cure her of that:
Canst thou not minister to
a mind deseas'd, 40
Pluck from the memory a
rooted sorrow,
Raze out the written
troubles of the brain,
And with some sweet
oblivious antidote
Cleanse the stuff'd bosom of that perilous stuff
Which weighs upon the heart?
Doct. Therein
the patient 45
Must minister to himself.[23]
1.3. Aufklärung bis Sturm und Drang
Die
anthropozentrische Haltung des Humanismus und später der Aufklärung bewirkt, daß Geisteskrankheiten erstmals isoliert von dämoni-schen Mächten gesehen werden. In der Literatur wird
der wahnsinnige Protagonist ebenfalls durch sein als krankhaft anerkanntes
Symptom von Kriminalisierung und sozialer Ächtung gelöst und soll dem Publikum
nicht mehr vorwiegend als Objekt der Verhöhnung, also dem Ausdruck einer Abwehr
eigener, weit verbreiteter Ängste, dienen.[24]
Diese Entwicklung hat vor 1750 in England
bereits eingesetzt und wirkt in Deutschland teilweise bis ins späte 18.
Jahrhundert. Der Wahnsinnige soll vom Publikum nicht mehr verhöhnt, sondern
bemitleidet werden. Zur Lebenszeit des puristischen Johann Christoph Gottsched
(1700-1766) dient der Wahnsinnige noch der Satire. Später wird er in die
Tragödie integriert, um Rührung und Mitleid zu erwecken.[25]
Nach Auffassung der Aufklärung gilt das Mitleid als essentielle Tugend[26],
und dieser Mitleidsbegriff impliziert auch die Einfühlung in und Identifikation
mit dem wahnsinnigen und daher leidenden Protagonisten.[27]
Um
das Mitleidspostulat noch zu steigern und gleichzeitig auf eine bestimmte
Gruppe zu begrenzen, werden auch Protagonisten entworfen, die ohne moralische
Verfehlungen Opfer des Wahnsinns wurden.[28]
Das
Hauptkriterium, ob ein vom Wahn befallener Protagonist Mitleid oder Verachtung,
nicht mehr Verhöhnung, verdient, wird allerdings immer noch an seiner vordem
gelebten Moral gemessen.[29]
In
den Siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts bildet sich eine literarische
Opposition, die nach realen Erfahrungshintergründen verlangt. Literarisch schlägt
sich die rationalistische Praxis der Zurschaustellung Wahnsinniger in
verbreiteten Irrenhausszenen nieder.[30]
Man findet realistische Beschrei-bungen von Irrenhausbesuchen bei Matthias
Claudius[31],
Georg Christoph Lichtenberg[32]
und Heinrich von Kleist[33].
Nun
werden für Autoren und Wissenschafter Ursachen des
Wahnsinns interessant und unter anderem als Abspaltungen aufgrund von Trauma-tisierungen erkannt.
Im
Sturm und Drang wird der einzelne Mensch selbst als Maß seiner individuellen
Vernunft anerkannt. So werden psychische Leiden in der Literatur als wahr und
daher "absolut" angesehen, wirken zugleich aber selbstzerstörerisch,
weil sie nicht mehr relativiert werden können, sobald sie dieser individuellen
Natur entsprechen.[34]
Johann
Wolfgang von Goethe führt allerdings in DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS durch
das Fingieren eines pathologischen Charakters - unfähig, nach seinen
Erkenntnissen zu leben - die Annahme einer individu-ellen
Natur als Grundlage einer wahren Vernunft der Einzelseele ad absur-dum. Der Roman "spiegelt ein verhindertes Ich in
einer verhinderten Realität o h n e einen immanenten Gegenentwurf."[35] In diesem
depressiven, quasi autistischen Modell fehlt die immanent
entwickelbare, Du- bzw. realitäts-bezogene, Sinnerfahrung. Mit seinem Selbstmord
ignoriert Werther die Unmöglichkeit, Lotte auf diese Weise gewinnen und/oder
bestrafen zu können: Lotte nämlich erweist sich in ihrer konsequenten
Realitätssicht dieser Beziehung als zwar traurig, aber - trotz Schuldgefühlen -
frei von Schuld[36].
Der
Roman löst eine Dynamik außerhalb des literarischen Bereiches aus, was als ein
deutlicher Hinweis darauf gelten kann, daß die wahre
Natur des Einzelmenschen in der extraliterarischen Sphäre liegt; ebenso die
Antwort auf die Suche, von welcher Art die politische und soziale Umwelt sein
müsse, um in so viele Individuen wie möglich integriert werden zu können.
Die
Psychologie beginnt, zu einem gesellschaftlichen Bedürfnis zu avancieren.
Seelische Krankheiten werden verstärkt wahrgenommen. Noch immer geht es um die
Suche nach der Wahrheit: Aus dem als deformiert erkannten Ich soll das wahre
Ich gefiltert werden, um daraus Bedingungen für ein Leben psychisch gesunder
Menschen in einem nicht deformierenden Kollektiv zu erschließen. Der
Absolutheitsanspruch dieser These ist schließlich zum Scheitern verurteilt. Das
Pendel schlägt wieder in die andere Richtung aus. Man wendet sich erneut dem
Beobachten zu, dessen Trend, so wie das gleichnamige Magazin von Karl Philipp
Moritz, unter "Erfahrungs-seelenkunde" subsumiert wird.[37]
Moritz erhofft sich ursprünglich eine umfassende Erklärung des Wahnsinns durch
die Selbstbeobachtung der gesunden Menschen, erkennt aber schließlich die
Grenzen derselben, weil jemand, der sich selbst beobachtet, Gefahr läuft, seine
eigenen Abspaltungen auszublenden.[38]
Die Beobachterproblematik besteht ja im bloßen Sehenkönnen
von Fragmenten, sobald der Standpunkt des Beob-achtenden
mit dem Objekt der Beobachtung auch nur teilweise ident ist. So nimmt Moritz
die Grenzen seines Ansatzes zur Kenntnis.
1.4. Die Romantik
Die
in der Aufklärung propagierte Vernunft ist in der Romantik zunächst wieder
religiös gebunden. Die Erkenntnis alles Seienden wird Gott zugeschrieben.[39]
Die Annahme des durch Sünde verschuldeten Wahnsinns taucht ebenso wieder auf.
Ihre radikalste Ausdrucksform findet der Zusammenhang von Wahnsinn und
Amoralität bei Johann Christian August Heinroth.[40]
Er geht davon aus, daß psychische Krankheit mit der Ent-fremdung der Seele von ihrer ursprünglichen Bestimmung
korrespondiere. Da diese, seiner Meinung nach, in der Ausrichtung auf Gott
liegt, mani-festiert sich der Wahnsinn nicht nur als
Symptom eines als sündhaft empfun-denen Verhaltens,
sondern auch als Sehnsucht nach dem eigentlichen Sinn und Zweck der Seele.[41]
Später
übernimmt die Poesie diese Funktion der Rückbindung oder Religio. Sie soll nun
vor dem Wahnsinn schützen. Der Dichter erscheint in der Funktion des Sehers,
der die Natur zu dechiffrieren versteht, da ihrem Wesen eine Dynamik
zugeschrieben wird, die den Menschen in den Wahnsinn treiben kann. In DIE
LEHRLINGE VON SAIS spricht Novalis von "endlosen Zerspaltungen der
Natur"[42],
einem Bild des Mikrokosmos, das, will man ihm mit dem Verstand beikommen, in
der "entsetzlichen Tiefe"[43] des Wahnsinns, also in der Unmöglichkeit
Widersprüchliches zu integrieren, endet. Einklang innerhalb des Natürlichen
schließt diese Vorbedingung für Wahnsinn aus und ist für den Menschen möglich,
so er sich der (auch eigenen) Natur hingibt. Die Anforderungen an den Dichter,
der auf seinem Weg, diese Natur nach und nach zu begreifen, punktuell vom
Wahnsinn erfaßt werden, für den sich aber eine
Schleuse aus der "entsetzlichen Tiefe" öffnen kann, sind
"Selbstzucht, Mäßigung, Ruhe und Besonnenheit".[44]
Poesie
ist Wahnsinn in ästhetisierter Form. Unter diesem Gesichtspunkt verliert der
Wahnsinn seine pathologische Komponente und avanciert zu einer Entität, die dem
herkömmlichen Verstand weit überlegen scheint. "Die Sprache des
Wahnsinnigen wird zur Chiffre einer tieferen Wahrheit aus der bodenlosen Wirklichkeit
als die der Normalen."[45]
Der
Aufstieg des Wahnsinns als eines Weges zur Wahrheit beruht auf einem ungelösten
Problem, vor dem die Ansätze der Vernunft damals kapitulieren mußten.[46]
Der
zweite Problemkreis bezieht sich, neben der Auflösung des Verstandes im
Mikrokosmos der Natur, auf die Gefahr der Auflösung durch die unendlichen
Möglichkeiten der Reflexion des Ich.
"Durch Übung werden Entwicklungen
befördert, und in allen Entwicklungen gehen Teilungen, Zergliederungen
vor, [...]. So hat sich auch nur allmählich
unser Inneres in so mannigfaltige Kräfte gespaltet, und mit fortdauernder Übung wird auch diese
Zerspaltung zunehmen. Vielleicht ist
es nur krankhafte Anlage der späteren Men-schen, wenn sie das Vermögen verlieren, diese zerstreuten Farben ihres Geistes
wieder zu mischen und nach Belieben den alten einfachen Naturzustand herzustel-len, oder neue, mannigfaltige Verbindungen unter
ihnen zu bewirken."[47]
Jener
Form von Wahnsinn begegnet man oft in der Literatur als dem Doppelgänger-Motiv, das die
Selbstauflösung aufgrund der Unvereinbarkeit verschiedener Rollen dokumentiert.[48]
Die
dritte Form der Darstellung von Wahnsinn zeigt den Sinnverlust.
Die
Welt ist für den Protagonisten nicht mehr zu bewältigen. Er bewegt sich in
einem sinnlos gewordenen Universum, dessen Wahrheit nicht existiert, weil sie -
redundant - aus der Wahnphantasie des Schöpfers derselben hervorging.[49]
In
Bonaventuras [G. F. Wetzels (?)] Werk "Die Nachtwachen des B." sitzt der
wahnsinnige Protagonist in der Anstalt als Weltschöpfer und weiß nicht mehr,
was er mit seiner Schöpfung anfangen soll.[50]
Der Wahnsinn bei Bonaventura ist der Versuch einer Vernunft, die nach der
Wahrheit sucht und dabei den Wahnsinn als Irrtum und Selbsttäuschung nicht
erkennt.[51]
E.T.A.
Hoffmann entwickelt die Synthese, nach welcher in der Aufklärung vergeblich
gesucht wurde und weist auch schon auf den Naturalismus voraus. Er entwirft
seine wahnsinnigen ProtagonistInnen realistisch und
mit berührender Genauigkeit. Dem Verlust des Verstandes geht ein langer Kampf
und langes Leiden voraus. Nathanael in DER SANDMANN steuert bei vollem Bewußtsein verzweifelt auf seine okkulte Fixierung zu.
Seine Verzweiflungstat als Resultat eines kindlichen Traumas ist ebenso
schlüssig.[52]
Die
Protagonistin Cölestine/Hermenegilda von C. in DAS GELÜBDE zerbricht an ihren Schuldgefühlen
aufgrund des Todes eines geliebten Menschen, den sie, als er in ihrer
Reichweite war, verschmäht hatte.[53]
Xaver von R. mißbraucht ihre Treue in einer
beeindruckenden Szene. Er läßt sich den Vollzug der
Ehe, während die Frau halluziniert, er wäre der verstorbene von ihr geliebte
Stanislaus, gerne gefallen.[54]
Damit entwürdigt er die Frau völlig, die in konsequenter Fortsetzung des
pathologischen Prozesses ihre Existenz nur mehr als geheimnisvolle
Verschleierte, um deren Identität alle rätseln, ertragen kann. Mit dem
gewaltsamen Streit um das gemeinsame Kind verliert die Frau ihr Geheimnis und
ihren letzten Halt.[55]
[1]
vgl. Carine Kleiber: La dimension pathologique:
le cas Annemarie E. Moser. - In: Germanica
5. (1989)
S. 88.
[2]
vgl. Matthias Marschik: Poesietherapie. Therapie
durch Schreiben?. - Wien: Turia und Kant 1993. S. 252.
[3]
Aischylos: Die Orestie. - Stuttgart: Reclam 1987. S.104-105 und 116.
[4]
vgl. Hubertus Tellenbach: Schwermut, Wahn und Fallsucht in der abendländischen
Dichtung. - Hürtgenwald: Pressler 1992. S. 86.
[5]
vgl. Sophokles: Die Trachinierinnen. - In: Ders.: Tragödien. - Zürich/Stuttgart: Artemis 1968. S.
163-166.
[6]
vgl. Hubertus Tellenbach (Anm. 4) S. 90-92.
[7]
vgl. Hubertus Tellenbach (Anm. 4) S. 99-102.
[8]
vgl. Sophokles: König Ödipus. - Frankfurt/Main: Insel 1973. S. 24f.
[9]
vgl. Hubertus Tellenbach (Anm. 4) S. 112.
[10]vgl. Sophokles: (Anm. 8) S. 57.
[11]
vgl. Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung. -
Freiburg/Basel/Wien: Herder 1980. S.1291f.
[12]
Susanne Lüdemann: Mythos und Selbstdarstellung. Zur Poetik der Psychoanalyse. -
Freiburg/Breisgau: Rombach 1994 . S.
34.
[13]
vgl. Susanne Lüdemann (Anm. 12) S. 36.
[14]
vgl. Aurelius Augustinus: Die Bekenntnisse. - Einsiedeln: Johannes 1985. S. 39-65.
[15] vgl. Hubertus Tellenbach: (Anm. 4) S. 103.
[16] vgl.
Aurelius Augustinus: (Anm.
14) S. 61.
[17] vgl.
Thomas Hoccleve: Hoccleve´s Works: 1. The minor Poems.
3. The Regement of Princes and fourteen of Hoccleve´s Minor Poems. - London: o.
V. 1892,1897.
[18] vgl.
Lillian Feder: Madness in Literature. - New York:
Princeton University Press 1980. S. 98.
[19] vgl.
Lillian Feder: (Anm. 18) S.
98-112.
[20] vgl.
Lillian Feder: (Anm. 18) S
116.
[21]
vgl. Hubertus Tellenbach (Anm. 4) S. 136.
[22] William Shakespeare: King Lear. - in:
W. C. Craig (Hrsg.): The Complete Works of
Shakespeare. - London: Oxford University
Press 1971. 1. Akt, 1.
Szene, Vv. 36-188. S. 908-910.
[23] vgl. William Shakespeare: Macbeth. - in: W. J. Craig (Hrsg.) The Complete Works of Shakespeare. London: Oxford University
Press 1971. 5. Akt, 3. Szene, Vv.
37 - 46. S. 867.
[24]
vgl. Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft.
Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. - Frankfurt/Main: Suhrkamp1978. S. 391.
[25]
vgl. Georg Reuchlein: Bürgerliche Gesellschaft,
Psychiatrie und Literatur. Zur Entwicklung der Wahnsinnsthematik in der deutschen Literatur des späten 18. und
des frühen 19. Jahrhunderts. - München: Fink 1986. S. 59.
[26]
vgl. Georg Reuchlein: (Anm. 25) S. 60.
[27]
vgl. Georg Reuchlein: (Anm. 25) S. 62.
[28]
vgl. Brigitte Pantis:
"Aber warum diese amartia
wie sie Aristoteles nennt?" Zum Begriff der Schuld bei Lessing. - In: Neophilologus
3. (1981) S. 408.
[29]
vgl. Georg Reuchlein: (Anm. 25) S. 65.
[30]
vgl. Georg Reuchlein: (Anm. 25) S. 71.
[31]
vgl. Matthias Claudius: "Der Besuch im St. Hiob zu **" - In: Ders.: Sämtliche Werke. - München: Winkler 1968.
S. 257ff.
[32]
vgl. Georg Christoph Lichtenberg: Schriften und Briefe. Bd
3. München: Hanser 1972. S. 910.
[33]
vgl. Heinrich von Kleist: Briefe 1793-1804. - München: dtv
1964 S. 94-97.
[34]
vgl. Jutta Osinski: Über Vernunft und Wahnsinn.
Studien zur literarischen Aufklärung in der Gegenwart und im 18. Jahrhundert. - Bonn: Grundmann 1983. S. 116.
[35] Jutta Osinski:
(Anm. 34) S. 162.
[36]
vgl. Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werthers. - Stuttgart:
Reclam 1986. S. 151
[37] vgl. Jutta Osinski: (Anm. 34) S. 163-164.
[38]
vgl. Karl Philipp Moritz: Ueber Selbsttäuschung. Eine
Parenthese zu dem Tagebuche eines Selbstbeobachters.- In: Ders.: Gnoqi
Sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde als
ein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte.
Bd. 7 3. Teil - Berlin: Mylius 1789. S. 45-48
[39] vgl. Jutta Osinski: (Anm. 34) S. 163.
[40]
vgl. Johann Christian August Heinroth: Abhandlung
über die Seelengesundheit. - Leipzig: Reimer 1822. S. 197, 240-247.
[41]
vgl. auch Georg Reuchlein: (Anm. 25) S. 277.
[42]
Novalis [d. i. Friedrich Leopold Freiherr v. Hardenberg]: Die Lehrlinge zu Sais.
- In: Ders.: Werke. - Stuttgart: Magnus o. J. S. 54.
[43] Novalis: (Anm. 42) S. 54.
[44] Jutta Osinski:
(Anm. 34) S. 206.
[45] Jutta Osinski:
(Anm. 34) S. 213.
[46] vgl. Jutta Osinski: (Anm. 34) S. 213.
[47] Novalis: (Anm. 43) S. 47f.
[48] vgl. Jutta Osinski: (Anm. 34) S. 207f.
[49] vgl. Jutta Osinski: (Anm. 34) S. 209.
[50]
vgl. Bonaventura [d. i. Georg Friedrich Wetzel]: Die Nachtwachen des
Bonaventura. - Heidelberg: Schneider 1955.
S. 92.
[51] vgl. Jutta Osinski: (Anm. 34) S. 209.
[52]
vgl. E.T.A Hoffmann: Nachtstücke.- Stuttgart: Reclam 1990. S. 13ff,25 und 44f.
[53]
vgl. E.T.A. Hoffmann: (Anm 52) S. 292f.
[54]
vgl. E.T.A. Hoffmann: (Anm. 52) S. 310.
[55]
vgl. E.T.A. Hoffmann: (Anm. 52) S. 288ff.