Dr. Christian Reiter's research on the Guevara Lock of Beethoven's Hair (2006-2007) Transcribed with permission from the Wiener Beethoven-Gesellschaft. Mitteilungsblatt, XXXVIII. Jg. (1/2007) [An English translation of this article will appear in the Beethoven Journal, vol. 22, no. 1 (Summer 2007)] Beethovens Todesursachen und seine Locken Eine forensisch-toxikologische Recherche von Univ.-Prof. Dr. Christian Reiter, vormals Leiter der Abteilung für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Wien Im Jahr 1989 ersteigerte eine Gruppe von amerikanischen Musikfreunden bei Sotheby's eine Beethoven Locke. Ein Teil wurde der Ira F. Brilliant Stiftung, "Center for Beethoven Studies," an der San José State University in Kalifornien übertragen.1 Dr. Alfredo Guevara, Arzt in Nogales, Arizona, erhielt einen Anteil von 160 Haaren und stellte davon später Material für wissenschaftliche Tests zur Verfügung. Im Jahr 1802, also fünfundzwanzig Jahre vor seinem Tod, äuþerte der wegen seiner sich ankündigenden völligen Ertaubung verzweifelte Beethoven im sogenannten "Heiligensätdter Testament" den Wunsch, dass die Nachwelt die Ursache seiner Taubheit erforschen möge. Deshalb wurde am 27. März 1827 in seiner letzten Wohnung im Schwarzspanierehaus auch eine Obduktion durchgeführt, bei der man die Innenohren entnahm. Diese waren einige Zeit auf der Pathologie verwahrt, sind dann aber in Verlust geraten. Die Obduktion führte Dr. Johann Wagner durch. Das Protokoll dokumentiert u.a. das Vollbild einer Leberzirrhose sowie eine massive Bauchwassersucht. Der obduktionsbefund Beetho- vens befindet sich in der Sammlung des Pathologisch-anatomischen Bundesmuseums im Wiener Narrenturm, wo auch ein Gipsabdruck seines Schdels aufbewahrt wird. Beethoven war ursprünglich auf dem Währinger Pfarrfriedhof (dem heutigen Schubertpark) *bestattet worden. Sein Grab wurde allerdings zweimal geöffnet -1863, als man ihn umbette- te, und 1888, als man ihn auf den Wiener Zentralfriedhof transferierte. Bei der ersten Enterdi- gung wurde, nachdem man den zerfallenen Schädel wieder zusammengesetzt hatte, auch die Replik seines Schädels angefertigt. Viele Jahre später tauchte eine Schatulle aus dem Nachlass des Medizinhistorikers Prof. Romeo Seligmann auf, der die erste Exhumierung beaufsichtigt hatte, in der Knochenstücke einer Schädeldecke waren, die Beethoven zuge- schrieben wurden. Der Pathologe Prof. Hans Bankl konnte diese mit Sicherheit Beethoven zuordnen, da sie im Gipsabguss fehlen und nur provisorisch ergänzt worden waren. Die Schädelknochen gelangten in die USA und wurden kürzlich ebenfalls dem "Center for Beethoven Studies" vermacht. Eine molekularbiologische Analyse des grösseren Fragments konnte 2005 ein charakteristisches, mit den Haaren aus der Guevara-Locke übereinstimmen- des mitochondriales DNA-Muster zur Darstellung bringen. Im Auftrag von Dr. Guevara untersuchte Dr. William Walsh vom Health Research Institute, Naperville einige der Haare im Teilchenbeschleuniger des U.S. Department of Energy's Argonne National Laboratory, Argonne, Ill., da zu Beethovens Lebzeiten Infektionen oft mit Quecksilber behandelt wurden. In Beethovens Haar konnte zwar keine auffällige Queck- silberkonzentration festgestellt werden, aber im Mittel etwa achtzig Mal mehr Blei, als bei rezenten Menschen. Die Testergebnisse wurden im Oktober 2000 auf einer Pressekonferenz bekannt gegeben und auch geschlossen, dass seine Taubheit auf diese Vergiftung zurückzuführen sei. Da Beethoven wiederkehrend unter Bauchschmerzen und Koliken litt, wäre dies auch mit einer Bleivergiftung in Einklang zu bringen. Bei schweren Bleivergiftungen wird gelegentlich Ertaubungen beschrieben, aber keines- wegs im Regelfall. Bei den meisten Bleivergiftungen sind aber motorische Störungen in den Armen und Händen üblich, was sich zweifellos auf Beethovens Klavierspiel ausgewirkt hätte. Zudem hätte eine Bleiexposition uuber fast drei Jahrzehnte wiederkehrend oder kontinuierlich erfolgen müssen, da Beethovens Hörverlust über drei Dezennien progredient verlief. Bei einer einmaligen oder zeitlich begrenzten Vergiftung dreissig Jahre vor seinem Tod wäre die Blei- konzentration am Totenbett nicht mehr signifikant gewesen. Haar wächst im Tag 0,3 bis 0,4 Millimeter - ist also somit ein biologischer Chronometer. Im Haar lagern sich viele Stoffe ab, die im Blut gelöst sind. Wesentlich war daher die Frage, ob die Bleikonzentration in Beethovens Haaren gleichmässig erhöht ist oder nur abschnittsweise. Am Institut für Analytische Chemie der Wiener Universität für Bodenkultur werden seit Jahren auch für forensische Zwecke Haare auf Schwermetalle untersuchte, wobei mittels eines mi- kroskopisch dünnen Laserstrahls das Gewebe verdampft und der dabei entstehende Rauch in einen Massenspektrographen analysiert wird. Pro Millimeter Haar können ca. fünfzig Einzel- messungen, sowohl an der Oberfläche, als auch im Haarzentrum erfolgen. Dr. Guevara erklär- te sich mit der Anwendung dieses Analyseverfahrens an Beethovens Haar einverstanden. Er stellte dafür ein 4 und ein 9,3 Zentimeter langes Haar aus seiner Locke zur Verfügung. Die Haare dokumentieren die letzten ca. 120 bzw. 267 Tage im Leben Beethovens. Bei den Untersuchungen stellte sich heraus, dass die Haare nicht gleichmässig mit Blei beladen waren. In den letzten 111 Tagen vor dem Tod traten mehrere phasenhafte, exzessive Blei- belastungen auf. Es ist bekannt, dass der Komponist Anfang Dezember eine schwere Lungenentzündung hatte. Knapp davor, Ende November 1826, war er nämlich - nach etwa zweimonatigem Aufenthalt in Gneixendorf - in einem offenen Wagen nach Wien gefahren. Er dürfte durch-nässt in einer un- beheizten Herberge uubernachtet haben. In Wien übernahm Dr. Andreas Wawruch die Behand- lung. In seinen Aufzeichnungen hielt er später fest, dass er Beethoven mit einem "Entzündungs- auflösenden Mittel" behandelt habe. Als Nebenwirkung sei aber eine gewaltige Bauchwasser- sucht aufgetreten. Die enormen Flässigkeitsmengen drückten aufs Zwerchfell, sodass der Pa- tient kaum Luft bekam. Also musste man diese entleeren, indem man den Bauch punktierte. Diese Behandlungsmethode war damals riskant, weil es durch die Eröffnung der Bauchhöhle zu einer Bauchfellentzündung kommen konnte, die vor der Antibiotika-Ära unweigerlich zum Tod führte. Viermal insgesamt liess Dr. Wawruch Beethoven Bauchwasser ab. Es dauerte nicht lange, bis Beethoven verfiel und am 26. Mrz 1827 verstarb. Überträgt man die Gipfelpunkte der Bleikonzentration im Haar auf Beethovens Krankenge- schichte, so ergeben die chemischen Analysen, dass immer dann, wenn eine Punktion erfolgte, im Haar ein massiver Anstieg der Bleikonzentration auftrat; dasselbe gilt für die Zeit, als Dr. Wawruch die Lungenentzündung behandelte. Aus den Arzneimittellehren des 19. Jahrhunderts geht hervor, dass man damals bei Lungen- entzündungen auch Bleisalze einsetzte, da diesen eine schleimlsende Wirkung zugesprochen wurde. Beethoven hatte bereits in Gneixendorf Leberzirrhose (eventuell als Folge einer Virus- infektion). Bei Patienten mit Zirrhose reagiert das dezimierte Lebergewebe sehr empfindlich auf Giftstoffe. Beethovens Leber war dieser zusätzliche Belastung durch Blei nicht gewachsen, weshalb sich in Form der Bauchwassersucht das bevorstehende Organversagen ankündigte. Bei Punktionen von Körperhöhlen dichtete man damals die Wunden mit klebrigen Bleiseifen ab und desinfizierte sie dadurch gleichzeitig. Giftige Schwermetalle wie Blei, Quecksilber oder Arsen vertraten zu dieser Zeit die Antibiotika und ihre giftigen Nebenwirkungen wurden als das kleinere Übel, etwa im Vergleich zur Bauchfellentzündung, angesehen. Als dann noch Blei aus den Pflastern resorbiert wurde, war das tödliche Leberversagen nicht mehr aufzuhalten. Dr. Wawruch hatte zwar nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, wie es dem Stand der damaligen Medizin entsprach, aber Beethoven trotzdem dadurch zu Tode gebracht. Blieb nur noch die Frage: War der Komponist auch schon vor der Pneumonie Bleibelastungen ausgesetzt, die eventuell seine Taubheit erklären würden? Das 9,3 cm lange Haar repräsentierte nicht nur die 111 Tage vor dem Tod in Wien, sondern auch die Zeit in Gneixendorf und weitere zweieinhalb Monate davor. Dabei stellte sich heraus, dass während des Wachauaufenthaltes keine Bleibelastung erfolgte. In Wien-Jedlesee existiert noch das Landhaus der Grfin Anna Maria Erdödy, wo auch eine Beet- hoven-Gedenkstätte besteht, die ebenfalls eine Locke verwahrt. Die Authentizität der Locke war aber nicht genau belegt. Davon wurde ein 15 cm langes Haar untersucht und ausgewertet, wodurch sich die Möglichkeit ergab, die letzten vierzehn Monate im Leben Beethovens zu analy- sieren. Die Ergebnisse decken sich hinsichtlich der exzessiven Bleibelastungen in den letzten 111 Tagen und auch das Zeitfernster von ca. sechzig unbelasteten Tagen (Gneixendorf) stimmt überein, sodass sich die vorerst angenommene Echtheit dieser Beethoven-Locke letztendlich bestätigte. Durch die aussergewöhnliche Länge dieses Haares konnte auch der Zeitraum zwischen dem 200. und dem 360. Tag vor Beethovens Tod untersucht werden. In diesem Abschnitt gab es immer wieder einzelne bemerkenswerte Blei-Peaks. Für die Zeit davor (bis 425 Tagen vor seinem Tod) war dagegen keinerlei Bleibelastung festzustellen. Nun ist überliefert, dass Beethoven gerne Wein getrunken hat - beforzugt süssen, wie z.B. Mosel oder Tokaier. Dies könnte ihm zum Verhängnis geworden sein. Damals praktizierten manche Weinbauern die Unsitte, Wein mit "Bleizucker" zu schönen, weil dies einen süssen Geschmack verleiht und Säuren bindet. 3 Offensichtlich hatte Beethoven vor dem Aufenthalt in Gneixendorf immer wieder einen derartig "geschönten" Wein mit Blei getrunken. Die Bleibelastungen stehen aber sicher nicht mit Beethovens Taubheit im Zusammenhang, weil Blei sonst auch im Spitzenanteil des langen Haares nachgewiesen hätte werden müssen. Erst kürzlich wurde eine dritte Locke aus dem Besitz des Komponisten Anton Halm (1789-1872), die dieser seinem Schüler Julius Epstein (1832-1926) gewidmet hatte, auf ihre Authentizitt un- tersucht und dabei ebenfalls Kongruenz hinsichtlich des Beethoven-charakteristischen Schwer- metallverteilungsmusters vorgefunden. So konnten die hier vorgestellten Analysen nicht nur neue Hinweisse auf Beethovens Todesumstände und Todesursachen liefern, sondern erwiesen sich auch als sichere Methode zur Identifizierung von zweifelhaften Beethoven-Locken. ______________________ Anmerkungen 1. www.sjsu.edu/depts/beethoven/ 2. Hans Bankl, Hans Jesserer, Die Krankheiten Ludwig van Beethovens, Wien 1987 3. R. Ludewig, Beethoven und das Gift im Wein, in: rsteblatt Sachsen Heft 6-11/2002